
CDU und FDP Voerde stigmatisieren Flüchtlinge
Ich weiß gerade nicht, ob CDU und FDP es nicht besser wissen. Oder trotzdem so handeln. Und ich weiß nicht, was schlimmer ist.
Anlass ist ein Antrag der beiden Fraktionen im Rat der Stadt Voerde, der die aus dem Bundestagswahlkampf bekannte Diskussion über Flüchtlinge wieder aufgreifen will.
Worum geht es?
Die CDU und die FDP Fraktion in Voerde haben einen Antrag eingereicht, die Bezahlkarte für Geflüchtete einzuführen. Das ist bemerkenswert, weil ihnen offensichtlich nicht bewusst ist, dass die Bezahlkarte per Gesetz kommt. Also gar nicht beantragt werden muss. Was beantragt werden kann, ist das, was ich gemacht habe: von einer im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, sie nicht einzuführen.
Also: Regelfall ist die Einführung. Auf Antrag der Verzicht auf Einführung.
Denn die Bezahlkarte hat meiner Meinung nach nur zwei direkte Effekte: Gängelung und Stigmatisierung. Und einen indirekten Effekt: Aufwände und damit Kosten in den Verwaltungen. Weswegen sich immer mehr Städte auch dagegen entscheiden, zuletzt Dinslaken.
Bis hier hin könnte man noch denken: Ok, die CDU und FDP in Voerde haben mal wieder nicht verstanden, was eigentlich passiert. Und zeigen das halt ganz unbekümmert.
Leider ist aber die Begründung des Antrags Belege genau dafür, weswegen aufgeklärte Menschen sagen, die Karte sei stigmatisierend. Und in den Ausführungen mindestens irreführend, wenn man keine böse Absicht unterstellen will.
Ich zitiere mal die „Argumente“ und schreibe, was ich darüber denke:
Asylsuchende, die in Deutschland kein Girokonto eröffnen können (z. B. Menschen, die ihre Identität nicht nachweisen können, Menschen, die noch keine Steuer-ID haben) oder die (noch) nicht über ein Girokonto verfügen, haben so auch die Möglichkeit, ihren Lebensalltag ohne Schecks und Bargeld zu bestreiten (dies ist ein geringerer verwaltungstechnischer Aufwand und betrifft immerhin knapp ein Drittel der Leistungsempfängerinnen und -empfänger nach dem AsylbLG in Voerde.
Okay.
- Kein Mensch ohne Identität bekommt in Deutschland etwas
- Die betroffenen Menschen dürfen noch kein Konto eröffnen
- Kein Mensch bezahlt mehr mit Schecks
- Für immerhin ein Drittel der betroffenen Menschen muss die Verwaltung besondere Vorgänge verarbeiten und wird damit belastet.
Sobald über den Asylantrag positiv entschieden wurde, sind die Personen leistungsberechtigt nach dem SGB II/XII (Wechsel zum Jobcenter/Sozialamt), wodurch sie von der Bezahlkarte ausgeschlossen werden. Lediglich die Personen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist, oder deren Asylantrag abgelehnt wurde und die sich noch immer in Voerde aufhalten, würden zur Nutzung der Bezahlkarte verpflichtet werden.
Was soll uns das sagen?
- Anerkannte werden nicht „ausgeschlossen“, sondern sie haben dann die Möglichkeit eines Kontos, wodurch die Bezahlkarte obsolet wird
- Die, über deren Aufenthalt noch nicht entschieden wurde, sind ja die aus dem Abschnitt davor
- Die, deren Antrag abgelehnt wurde, haben natürlich auch das Recht, menschenwürdig zu leben und bleiben bei der Bezahlkarte, weil sie ja kein Konto haben dürfen
der Stadt Voerde ist es möglich, die Transaktionen der Asylsuchenden in Voerde einzugrenzen.
Dies würde nicht nur mögliche Überweisungen ins Ausland betreffen, sondern z. B. auch Überweisungen an potenzielle Schleuser oder überverhältnismäßige Ratenzahlungen.
Ich hab drauf gewartet.
- Würde man sich für die Wahrheit interessieren, hätten CDU und FDP wissen können, dass das Geldverschieben ins Ausland schon lange als Ammenmärchen entzaubert wurde. Es ist schlicht unwahr zu behaupten, dass sei ein signifikantes Problem. Es bedient aber das rassistische Ressentiment, Flüchtlinge würden sich hier das Geld abholen, mit dem ihre Angehörigen im Ausland gut leben.
- Wie sollen so Eingrenzungen, über die ohnehin vorhandenen Beschränkungen, aussehen? Bei dem Händler darfst Du einkaufen, bei dem nicht? Wer soll das administrieren? Wie werden Ausnahmen gehandhabt? Der Verwaltungsaufwand wäre, könnte man das überhaupt machen, enorm.
- Überweisungen an potentielle Schleuser ist für mich das dümmste Argument, das ich in dem Kontext kennenlernen durfte. Schleuser haben kein Konto, auf das man Geld für eine illegale Einreise überweist. Und finden auch Wege, sich an dem trotzdem vorhandenen Bargeld schadlos zu halten – wäre das überhaupt ein Problem, das ist es aber gar nicht. Siehe Punkt 1.
- Über-verhältnismäßige Ratenzahlungen? Was soll das sein? Kredite bekommen die Menschen nicht und private Leihgeschäfte kann man damit nicht unterbinden. Hier wird einfach etwas angeführt, das absolut keine Rolle in der Wirklichkeit spielt.
der Stadt Voerde ist es möglich, das Vermögen auf der Bezahlkarte zu schützen. Dies kann
z. B. bei Personen erfolgen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die nicht mehr auffindbar
(illegaler Aufenthalt in Deutschland!) sind
Was zur Hölle?
Auf die Bezahlkarte wird jeden Monat ein Betrag aufgebucht, so lange Anspruch besteht. Auf das Geld hat die Stadt danach keinen Zugriff mehr, abgesehen von der Möglichkeit der Kartensperrung.
Wer abgelehnt wurde, hat aber unter Umständen Anspruch (siehe oben), aber natürlich nur bei klaren Verhältnissen. Wenn die Person „untertaucht“, bekommt sie auch auf andere Wege keine Leistungen. Das ist ein absolutes Nicht-Problem, das aber den Eindruck erwecken soll, hier gäbe es eine besondere Form von Kriminalität. Wieder das Bedienen rechter Talking-Points.
die Stadt Voerde kann zusätzlich zur Bezahlkarte selbst den Betrag festsetzen, den Asylsu-
chende bar von der Bezahlkarte abheben können. Sollte es also nötig sein, den Betrag von
derzeit 50 Euro pro Person anzupassen, kann die Stadt Voerde zügig handeln. Hier ist es der
Stadt Voerde auch möglich, begründete Einzelfallentscheidungen zu treffen und den Bar-
geldbetrag individuell anzuheben.
Wieder der Verwaltungsaufwand: Wer entscheidet wie und wann auf welcher Rechtsgrundlage? Wie wird der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt? Wer sollte das „zügig“ handhaben? Der potentielle Aufwand für die Verwaltung ist riesig, ein Steuerungseffekt nicht vorhanden.
Und wie sehr wollen wir diese Menschen eigentlich bevormunden und zwingen, offenzulegen, was sie mit den paar Euro, die sie bekommen, machen? Das sind in der Regel erwachsene Menschen, die die CDU und FDP wie unmündige Kinder gängeln wollen.
die Bezahlkarte schafft Anreize zur Integration und beruflichen Weiterentwicklung, da sie,
sobald Asylsuchende einer dreimonatigen Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine Ausbildung
beginnen, ihre ggf. aufstockenden Leistungen auf ihr Girokonto erhalten können
Noch so ein Nicht-Argument:
- Was für Anreize sollen das sein, die die Menschen nicht so auch schon haben? Der größte Anreiz ist der Wunsch nach selbstbestimmtem Leben. Soll die von CDU und FDP angestrebte Gängelung das verstärken, indem wir sie wie unmündige und unselbständige Menschen behandeln?
- Haben die Geflüchteten einen Status, der ihnen erlaubt, zu arbeiten und ein Arbeitsentgelt zu beziehen, sind sie nicht mehr im Kreis derer, die eine Bezahlkarte bekommen. Hier wird impliziert, dass es zu der Bezahlkarte ein Girokonto gibt. Das ist nicht der Fall: Bezahlkarte oder Girokonto.
Und dann kommt der Schlusssatz:
(…) ist die Einführung der Bezahlkarte als Gewinn statt als Einschränkung für Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger (…)
Und ich frage mich, ob das nicht menschenverachtend ist. Wie kann man Politik machen, in dem man Menschen in zwei Klassen einteilt, solche, mit der Verantwortung für ihr Handeln, und solchen, denen man über Einschränkungen jede Selbstbestimmung und damit Würde nimmt.
Ich gehe übrigens davon aus, dass mein Antrag vor dem der CDU zur Abstimmung kommt. Die Regularien sehen vor, dass bei Anträgen zum Thema der Antrag zuerst behandelt wird, der weitergehend ist. Da die CDU die Regel fordern, ich aber die Ausnahme, dürfte das so sein. Und in der Hoffnung, dass SPD, DIE PARTEI, DIE GRÜNEN und auch die WGV sich vielleicht nicht mir, sondern der Menschlichkeit anschließen mögen, könnte mein Antrag Erfolg haben. Womit der Antrag der CDU und FDP hinfällig wäre.
Und persönlich? Da bedauere ich zu tiefst, dass FDP und CDU in Voerde politisch zu verorten sind. Und frage mich ein Mal mehr, ob irgendeinem Mitglied in der CDU eigentlich noch klar ist, wofür das C einmal stand.
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