Die Wahrheit ist kostenpflichtig
Manchmal ist man sich ja eines Problemes bewusst, und kann es gar nicht so richtig in Worte fassen. Umso schöner, wenn man dann einen Artikel findet, der genau das ausdrückt, was man selbst seit einer Weile unartikuliert im Kopf rumschwirren hat:
The Truth Is Paywalled But The Lies Are Free
The political economy of bullshit.
In diesem hervorragenden Artikel von Nathan J. Robinson geht zunächst „nur“ darum, welche Arten von Nachrichten umsonst im Web sind und welche hinter einer Bezahlschranke verborgen sind. Das ist auch 1:1 auf Deutschland übertragbar, wo – gleich ob NRZ oder der Spiegel – gute Artikel Geld kosten und der Bullshit für Umsonst zu haben ist. Natürlich gibt es Ausnahmen, die dann aber eben die Leser eindringlich um Spenden bitten müssen, wie Netzpolitik. Verschwörungstheorien und Artikel nach dem Motto „diese 10 Tipps zum Abnehmen hassen Ärzte“ dagegen fluten das Netz.
Dann gelingt Robinson aber der Dreh zu noch einem ganz anderen Problem abseits der Nachrichten: Wissenschaft.
Jeder der schon mal eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat, kennt das Problem: Gute Artikel, Arbeiten und Bücher sind hinter kostenpflchtigen Diensten wie Springer oder DeepDyve „verborgen“ und kosten teilweise horrende Summen.
Das ganze ist eine wilde Mischung aus Urheberrecht, berechtigtem Vergütungsinteresse der Autoren, überzogener Gier der Plattformen und Verlage und dem Konflikt, dass Wissen eigentlich frei sein sollte. Oder wie Robinson es sich erträumt:
The true universal search, uncorrupted by paid advertising. Within a second, you could bring up an entire PDF of any book. Within two seconds, you could search the full contents of that book.
Let us imagine just how much time would be saved in this informational utopia. Do I want minute 15 of the 1962 Czechoslovak film Man In Outer Space? Four seconds from my thought until it begins. Do I want page 17 of the Daily Mirror from 1985? Even less time. Every public Defense Department document concerning Vietnam from the Eisenhower administration? Page 150 of Frank Capra’s autobiography? Page 400 of an economics textbook from 1995? All in front of me, in full, in less than the length of time it takes to type this sentence. How much faster would research be in such a situation? How much more could be accomplished if knowledge were not fragmented and in the possession of a thousand private gatekeepers?
What’s amazing is that the difficulty of creating this situation of “fully democratized information” is entirely economic rather than technological. What I describe with books is close to what Google Books and Amazon already have. But of course, universal free access to full content horrifies publishers, so we are prohibited from using these systems to their full potential. The problem is ownership: nobody is allowed to build a giant free database of everything human beings have ever produced.
Dahinter steht die von „Liberalen“ hoch gehaltene Idee, dass der Markt es schon regeln wird. Aber wird er das? Wenn ich mir die teils unsinnige Gestzgebung auch hier in Deutschland anschaue, habe ich erhebliche Zweifel, dass der Markt hier irgendwas regelt. Und es ist auch die Frage zu stellen:
Warum darf Wissen nur für den Verfügbar sein, der es sich leisten kann?
Vielleicht müssen wir drigend mal darüber reden, dass wir einen Weg finden müssen, der Wissen (frei) zugänglich macht – auch außerhalb der Uni-Netzwerke (die Unis zahlen teilweise absurde Gebühren, um ihren Studenten den Zugriff auf Online-Datenbanken zu ermöglichen) und auch außerhalb von Wikipedia, das ja einige sehr strukturelle Probleme hat (vgl. „Relevanzdiskussion„).
Die Älteren erinnern sich noch: als das Internet groß wurde, hatten wir den Traum, dass hier eines Tages alles Wissen der Menschheit für alle Menschen verfügbar ist. An welcher Stelle haben wir eigentlich zugelassen, dass private Unternehmen den Zugang regeln, statt Regeln zu schaffen, die Wissen für die Wissenschaft finanzierbar und für die Menschen frei verfügbar zu machen?