Einmal Spanien und zurück

Einmal Spanien und zurück

Niemand bereitet Dich auf die Schmerzen vor.

Vor langer Zeit habe ich den Film „Ich bin dann mal weg“ von und über HaPe Kerkeling und den Jakobsweg gesehen und danach das Buch gelesen. Während ich den Film eher durchwachsen fand, hat mir das Buch ganz gut gefallen und ich dachte, hey warum denn nicht. Die Idee kam wieder auf, als ich im 2. Studium saß und ging auch wieder. Wie das bei mir manchmal so ist. Dann kam 2022 „Achtsam Morden am Rande der Welt“ und die Idee war wieder präsenter.

Spulen wir vor nach 2023. Ich habe ordentlich Urlaub angesammelt, der mal weg muss. Die restliche Lebensplanung sieht im April/Mai nichts vor, also habe ich mich darum gekümmert, nach Frankreich zu kommen, genauer nach St. Jean Pied de Port, einem winzigen Kaff kurz vor den Pyrenäen und der Ausgangspunkt für den „Camino France“, einen Fernwanderweg, der mich auf knapp 800km nach Santiago de Compostela bringen sollte. Und von genau dieser Wanderung möchte ich Euch hier ein bisschen erzählen.

Ich bin kein gläubiger Mensch oder sehr reflektierend. Von daher war die Wanderung für mich auch keine wirkliche Suche nach Gott oder dem Sinn des Lebens. Es war eher eine Challenge, weil ich trotz 5 Wochen Urlaub das Ziel hatte, in 4 Wochen die Strecke hinter mich zu bringen. Helfen sollte mir dabei ein Abschnitt aus dem „Morden“-Buch, indem es darum geht, dass man auf den Camino eigentlich immer viel zu viel mitnimmt und man sich die Frage stellen sollte, was braucht man wirklich. Und wenn man das Buch liest oder die Frage für sich beantwortet stellt man fest: So viel ist es gar nicht.

Der größte Teil der mitgeführten Sachen
Der größte Teil der mitgeführten Sachen

In meinem Fall war es so, dass mein Rucksack knapp über 5 KG wog, knapp 6 mit allem drum und dran. Das alles passte in einen bequemen 35-Liter-Rucksack und fühlte sich gut an.

Die Anreise ließ sich ganz gut organisieren. Es gibt zwar einen Flixbus, der mich mit weniger CO2 nach Frankreich gebracht hätte, der aber sehr, sehr lange unterwegs war. Deswegen hatte ich mich entschieden zu fliegen und stand so am Abreisetag früh morgens in Düsseldorf am Flughafen nach Paris.

Von da aus ging es dann weiter nach Biarritz, wo mich der Inhaber meiner Unterkunft aufsammeln wollte. Auf diesem zweiten Flug konnte man viele Pilger an zwei Dingen erkennen: Einer Plastikmuschel – auf die ich natürlich verzichtet habe und teilweise überraschend großen Rucksäcken.

Ich will nicht verheimlichen das mich das irritiert hat. Die meisten Leute die ich gesehen habe, hatten Rucksäcke mit 50 Litern, einige mit 75-80 Litern Fassungsvermögen und sicherlich deutlich über 10KG Gewicht. War ich zu gutgläubig? Blauäugig?

Meine Überlegungen gingen davon aus, dass es entlang des Camino eine extrem gut ausgebaute Infrastruktur gäbe. Was würde ich außer ein paar Klamotten da brauchen? Anyway, jetzt war es zu spät.

Die erste Nacht verbrachte ich dann in einer „Herberge“. Hier sollten bis zu 6 Leuten in einem Raum schlafen, wir waren 3. Das wäre vielleicht noch gegangen, hätte einer meiner Mitschläfer nicht freimütig bekundet, dass er an Schlaf-Apnoe leiden würde – und sein Atemgerät zu Hause gelassen hat. Entsprechend passierte, was man erwarten kann – er schnarchte in einer Lautstärke, die Schlafen unmöglich machte. Ich bin dann auf ein Sofa gewechselt und habe spontan beschlossen, doch auf Hotels umzusteigen 😉

Die Hotels im Voraus zu buchen, erwies sich dabei als klug. Denn es gibt sehr viele, teils sehr günstige Herbergen, aber gute Hotels sind Mangelware. Jetzt war noch nicht Hauptsaison, aber trotzdem brauchte es schon ein bisschen Glück, noch ein Zimmer zu kriegen.

Wo ich wie übernachten würde konnte ich grob an einem „Etappenplan“ festmachen. Den hatte natürlich nicht ich mir erstellt – ich war wie immer vollkommen unvorbereitet auf die Reise gegangen. Aber im „Pilgerbüro“ von Pied de Port bekommt man neben dem Pilgerpass auch einen Ausdruck mit vorgeschlagenen Etappen. Daraus bastelte ich mir dann eine Router und habe per Booking.com vor-reserviert.

Mein Ziel war es, den Camino zu nutzen um die „Der Dunkle Turm„-Reihe von Stephen King, bestehend aus 8 Büchern, zu hören.  Und so brach ich dann am nächsten Morgen auf, bei leicht diesigem Wetter und begann meine Reise auf dem Camino Frances mit den Worten „Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm“. Gut, das passte nicht ganz 😉

Das Wetter am ersten Tag war nicht so optimal
Das Wetter am ersten Tag war nicht so optimal

Die erste Etappe ist direkt eine Bergetappe, die dem Vernehmen nach die Schlimmste sein soll. Ganz so fand ich es nicht, aber ich habe leider eine sehr dumme Lektion gelernt: Wenn Du das Gefühl hast, dass mit Deinen Schuhen was nicht stimmt – blende es nicht aus. Ihr dürft raten was ich gemacht habe und so hatte ich am Ende des ersten Tages nicht nur die erste Etappe geschafft, sondern mir auch direkt fette Blasen gelaufen.

Das war um so erstaunlicher, als das ich ja die gleichen Wanderschuhe schon seit Jahren trage. Und ich ehrlich keine wirkliche Erklärung dafür habe. Naja, passiert ist passiert, wird schon weiter gehen.

Im Kloster von Roncesvalles, dem Ende der ersten Etappe steht dieses Schild
Im Kloster von Roncesvalles, dem Ende der ersten Etappe steht dieses Schild

Und so war ich in Roncesvalles, von wo aus es noch 755km sein sollten. Was mich leicht irritierte, weil ich ja nicht 45 km oder auch nur 35 km gelaufen war. Um es vorweg zu nehmen: Die Entfernungsangaben auf dem Camino sind mit einer gewissen Vorsicht zu genießen 😉

Aber gut, das erste Buch ist nicht sehr lang und es war passend zu Ende gegangen. Also bin ich in mein Hotel eingekehrt, habe mich zur Ruhe gebettet und geschlafen.

Die Blasen waren am nächsten Morgen leider noch immer da.

Das zweite Buch beschreibt, wie unser Protagonist im Dunklen Turm nach Westen geht. Ziemlich genau so wie ich, denn meine Route sollte mich ja grob immer westwärts führen. Meine Blasen hatte ich mit Pflastern abgeklebt und den Schmerz konnte man ertragen.

Die aufgehende Sonne im Rücken
Die aufgehende Sonne im Rücken

Und so ging es mit der aufgehenden Sonne im Rücken weiter in den zweiten Tag. Und wettertechnisch war das ein Ausblick auf das, was kommen sollte: Im April und Mai 2023 litten Südfrankreich und Südspanien unter einer heftigen Hitzewelle. Die strahlte bis in den Norden, dort wo ich unterwegs war, aus.

Das Wetter war entsprechend Warm und meist trocken, zwei Mal hat es entlang meines Weges kurz geregnet – so kurz das es praktisch schon vorbei war, bevor ich die Reckenjacke richtig an hatte.

Meine Route für Tag 2 und die folgenden Tage hatte ich auf Komoot zusammengebastelt. Die Idee war, nicht überall dem eigentlichen Camino zu folgen, sondern Teile des alten Pilgerweges zu wählen, um den Menschen aus dem Weg zu gehen. Die Routen habe ich dann per Handy auf meine Garmin Armbanduhr geschoben und mich von ihr navigieren lassen, wenn ich die ausgeschilderten Wege verlassen habe. Thema Schilder:  In Frankreich wenige, in Spanien mehr und kurz vor dem Zeil praktisch an jeder Ecke. Ein Verlaufen sollte also eigentlich ausgeschlossen sein 😉

Am Ende des zweiten Tages war ich extrem k.o.. Wirklich. Ich bewege mich viel und habe auch Erfahrung mit Touren über mehrere Etappen, aber meine Füße, die Wärme, die Berge… als ich abends am Etappenziel ankam, war ich fix und fertig. Leider sahen meine Füße nicht sehr gut aus.

Das führte dann auch dazu, dass der dritte Tag eine Qual war. Wenn man über den Jakobsweg liest, liest man eigentlich nie über Schmerzen. Ich hatte Schmerzen. Weit mehr als ich erwartet hätte und ich habe nebenbei festgestellt, dass auch der leichteste Rucksack mit jedem KM schwerer wird. Das war extrem unschön.

Das führte dann aber dazu, dass ich die Reißleine gezogen habe. Schon am zweiten Tag habe ich das Fußbett / die Einlagen aus den Schuhen genommen, damit meine Füße mehr Raum haben. Aber am Ende des dritten Tages habe ich mir von der Rezeption im Hotel dann jemanden suchen lassen, der sich meiner Füße, genauer meines rechten Fußes annahm. Das tolle war, dass die Terminabsprache per Whatsapp möglich war und so bin ich dann Abends noch medizinisch behandelt worden.

Die gute Nachricht war: Es wurde danach sehr schnell sehr viel besser. Die schlechte Nachricht war: Ich musste Cheaten und den Bus nehmen – für den nächsten Tag hatte ich Laufverbot bekommen – bleiben war aber keine Option, wegen meines engen Zeitplans.

So konnte ich aber auch lernen, dass Spanien ein relativ gutes System hat, in dem Busse die Ortschaften verbinden – und das zu überraschend günstigen Preisen. Natürlich kann man die Touren online planen, buchen und bezahlen. Warum das nicht überall geht?

Nachdem das mit den Füßen schnell besser wurde, hätte ich eigentlich problemlos wieder auf Wanderschaft gehen können. Aber… wenn das Wörtchen Aber nicht wäre. Durch die Schmerzen hatte ich mir irgendwie eine Schonhaltung angewöhnt, die in Verbindung mit dem Rucksack zu Rückenschmerzen geführt hatte. Also dachte ich, warum nur Fußpflege, gehst Du halt auch noch zur Physio 😉

Das war dann auch schon wieder nix für schwache Nerven: Die sehr gute und überraschend preiswerte Physiotherapeutin hatte ihre Praxisräume über einer Metzgerei. Zugang nur durch die Metzgerei, hinten durch die Tür, die Treppe hoch, die letzte Tür am Ende des Flures. Beginnen so keine Horrorfilme?

Anyway: Versorgte Füße und versorgter Rücken und wieder auf, auf den Weg.

Die nächsten Tage entwickelten eine bemerkenswerte Monotonie, die mir sehr gefiel. Aufstehen. Packen. Laufen. Frühstück. Laufen. Mittagspause. Laufen. Ankommen. Duschen. Essen. Schlafen.

Was mir in der Zeit auffiel war, dass die Rucksäcke leerer wurden. Zahlreiche Mitpilger hatten angefangen, Dinge die sie nicht brauchten, nach Hause zu schicken. Was ich auch lernte war: Es gab einen Service, der Rucksäcke und Koffer am Hotel abholt und an das nächste Hotel liefert. Praktisch. Ich habe das ein, zwei Mal in Anspruch genommen – andere haben ganze Koffer hinterher reisen lassen. 🙂

Eine klassische Zwischenmalhzeit mit Kaffee und Crossaint.
Eine klassische Zwischenmalhzeit mit Kaffee und Crossaint.

Was mir gefiel war, dass ich praktisch überall mit Karte zahlen konnte. Allerdings oft erst ab 5€. Was jetzt nicht so dramatisch war, allerdings war z. B. Kaffee fast immer unter 1.5o€, man war also gezwungen was dazu zu nehmen 😉 Aber ein Frühstück z. B. mit einem großen Glas frischem O-Saft, einem Croissant und Kaffee für 5€? Das sucht man in Deutschland wohl eher vergebens. Überhaupt muss man sich über ein Kaloriendefizit wenig Gedanken machen: Das Essen war meistens sehr preiswert, dafür sehr üppig 😀

Dabei fällt natürlich auf, dass die meisten Orte entlang des Camino vom und durch den Tourismus leben. Das ist umso deutlicher angesichts der gravierenden Folgen des Klimawandels, die man dort überall spüren kann.

Angesichts der Sonne war ich auch sehr froh über meinen Hut und einen Sonnenschutz-Labello. Und trotz unempfindlicher Haut habe ich mich sehr regelmäßig mit Sonnencreme eingedeckt. Das, was ich an Sonnenbränden gesehen habe, war Mahnung genug. Und so ging es Schritt für Schritt näher an meine Zwischenziele und das große Finale.

Das mit den Zwischenzielen ist so eine Sache: Auf dem Camino Frances kommt man an die sogenannten Königsstädte. Das ist bei der Planung „witzig“, weil man so Auto und Zug gewöhnt ist, dass es am Anfang fast schon surreal anmutet, Abschnitte nicht in Stunden, sondern Tagen zu planen. Ach Schau, nur noch 4 Tage bis Leon 😀

Thema Planung: Auf Teilen meiner Route, die ja teilweise alten Pfaden folgten, habe ich manchmal stundenlang(!) keine Menschenseele gesehen. Aber auch keinen Handy-Empfang gehabt. Ich war schon lange nicht mehr in einer Region in der ich so oft nur GSM, nicht mal 3G oder LTE zur Verfügung hatte. Wohl dem, der Offline-Karten mit sich führt. Aber auf einigen Etappen habe ich mir tatsächlich überlegt wie sinnvoll es wäre, einen Satelliten-Notruf wie Garmin inReach zu haben. Denn wenn einem da was passiert… und was ich mir auch dachte: Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute zu wenig Wasser mit nehmen. Klar, theoretisch kommt man alle paar KM in einen Ort. Zu Fuß können ein paar KM allerdings eine ganze Menge sein. Und an einem Tag (dem 8.) kam tatsächlich der erste Ort erst nach 18km….

Sowieso, witziger Effekt: Egal ob ich 20 oder 30km gelaufen bin – die Schlimmsten waren immer die Letzten, wenn man wusste, man ist fast da. Aber eben nur fast. Und es ist noch eine Stunde oder so.

Was ich erstaunlich fand war, dass ich relativ wenig Windkraft und Solar gesehen habe. Obwohl die Voraussetzungen dafür optimal gewesen wären. Was ich dagegen gesehen habe war, dass die Menschen dort genauso spinnen können, wie hier:

In einem Tal, in dem der Ort von zwei Autobahnbrücken „überdacht“ wurde, regte sich offensichtlich massiver Widerstand gegen geplante Windkraftanlagen.

Das wirkte auf mich doppelt surreal. Zum einen eben wegen der genannten greifbaren Auswirkungen des Klimawandels. Zum anderen aber auch weil ich dachte, dass es ja eigentlich gar nicht mehr schlimmer geht, als mit den Brücken über das Tal hinweg.

Aber nun ja. Menschen.

Was mir auch auffiel: Einige der Wegstrecken des Camino sind neu gemacht – und scheinen „schwer by Design“ zu sein. Nun glauben Christen ja, dass der Gott am meisten gefällt, der im irdischen Leben am meisten Leidet. Das aber als Motiv für die Gestaltung von Wegen zu nehmen, mutet schon sehr komisch an. Wenn man z. B. die Strecke vom Gipfel eines Berges ins Tal als gerade, abschüssige Betonrampe anlegt, die schon trocken schwer zu laufen, Nass aber ein Albtraum ist. Oder wenn man Wege mit rundem Schotter belegt, der sich nicht verkantet, so dass die Steine sich unter jedem Schritt bewegen, das mutet schon komisch an.

Inzwischen war ich in einer Wetterphase gefangen, die Laufen nach 15 Uhr zu einer nicht sehr angenehmen Geschichte machte. Das führte dazu, dass ich morgens sehr früh los bin und teilweise dann schon um 14 Uhr am Ziel des Tages angekommen bin. Gab mir aber auch Gelegenheiten mal über „Begleiteffekte“ nachzudenken.

Wie zum Beispiel die Frage, warum es Wasser nur in Plastikflaschen gab. Selbst im Restaurant wird zum Essen eine Plastikflasche auf den Tisch gestellt. Und nein, natürlich gibt es kein Pfandsystem, ab in den Müll damit. Das hat mich schon ziemlich entsetzt.

Auch wenn man Menschen eigentlich lieber aus dem Weg gehen mag, so trifft man manche doch immer wieder. In meinem Fall waren das vor allem zwei Amerikaner, Michael und Bill. Letzterer gut 70 Jahre alt und egal wie weit ich lief, der war immer entweder vor mir oder tauchte Abends da auf, wo ich war. Unfassbar. Michael aus dem Nordosten der USA dagegen nötigte mir sehr viel Respekt ab: Für ihn war der Camino eine Qual. Aber er wollte nicht aufgeben. Und jeden Morgen zwang er sich, die nächste Etappe zu gehen. Als jemand der die selber gegangen ist, nötigt mir das viel Respekt ab.

Was mich ein bisschen ratlos gemacht hat, waren zwei Dinge:

Die neueren Abschnitte des Camino Frances folgen an vielen Stellen den Landstraßen und ich frage mich warum. Dort ist weniger Schatten, Autos sind laut und stinken und es ist laaaaangweilig. Es mag sicherer sein, Spaß machte das aber nicht.

Ich bin sicher, irgendjemand hat sich dabei was gedacht. Aber ich verstehe es nicht. Es erscheint mir so unnötig.

Und dann war da noch die Sache mit Michael Jackson.

Jesus und Michael Jackson
Jesus und Michael Jackson

Entlang der gesamten Strecke bin ich immer wieder an Graffiti vorbei gekommen, die entweder nur den Namen Michael Jackson oder wie hier Jesus und Michael Jackson enthielten.

Das ist schon irgendwie strange… 😉

Herausgefunden, was es damit auf sich hat, habe ich allerdings nicht. Vielleicht auch, weil ich nicht nachgefragt habe.

Aber auffallend war es schon, dass mich diese Markierungen wirklich über die gesamten knapp 800km begleitet haben.

Anyway,

irgendwann erreichte ich den magischen Punkt, an dem es nur noch 100km bis zum Ziel waren.

Wegmarkierung der letzten 100km
Wegmarkierung der letzten 100km

Dieser Punkt ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.

Zum Einen wird es ab hier voll: Man gilt als Pilger/in, wenn man wenigstens 100km zurück gelegt hat und so kam es, dass ab hier sehr viele Leute auf den Camino stießen. Die überraschend frisch aussahen und gar nicht so fertig wie andere 😉

Zum anderen scheint es bis hier ewig zu dauern, aber von hier aus geht alles ganz schnell:

Die Strecke scheint relativ zu sein: Die erste Etappe ist zwar in KM nicht die Längste, dauert aber ewig. Wenn man sich die Urkunde für die Hälfte des Weges abholen darf, ist man schon ewig unterwegs. Aber zwischen er Markierung „100 km“ und dem Ziel rast die Zeit gefühlt an einem vorbei.

Für mich war das auch der Punkt mal darüber nachzudenken, wie unterschiedlich die Regionen waren, durch die ich gelaufen bin. Durch die erzwungene Langsamkeit nimmt man die Landschaft viel intensiver wahr und sieht viel stärker wie sich alles ändert.

Ortseingang Santiago de Compostela
Ortseingang Santiago de Compostela

Und so kam ich dann irgendwann in Santiago an. Es war erstaunlich wie viele Menschen an dem Schild in Tränen ausbrachen, viele von Ihnen etwas später an der Kathedrale gleich noch mal.

Für mich endete hier eine Reise mit dem Ende des letzten Buches aus der Dunklen Turm-Reihe, das kam erstaunlich gut aus. Und während Roland es schafft und endlich nach vielen Seiten Wanderung sein Ziel betreten kann, stand ich vor meinem: Der Kathedrale von Santiago de Compostela.

 

Die Kathedrale im Abendlicht
Die Kathedrale im Abendlicht

 Allerdings erst einen Tag später. Ich hatte einen längeren Aufenthalt in Compostela geplant und war am ersten Tag direkt ins Hotel. Die Stadt, die Kathedrale und alles andere habe ich mir erst am nächsten Tag angesehen.

Michael und ich vor der Kathedrale
Michael und ich vor der Kathedrale

Was sich als gute Idee herausstellte, denn am nächsten Tag kamen eine Reihe von Leuten an, die ich unterwegs kennengelernt hatte. Zeit für ein paar Fotos und Geschichten.

Einige wollten noch weiter bis ans „Ende der Welt“, für mich sollte hier Feierabend sein. Die Geschichte vom Dunklen Turm war zu Ende erzählt und es gab keinen Grund mehr weiter  zu laufen.

Meine letzte Amtshandlung war, mir die offizielle Bestätigung meiner Reise abzuholen. Dafür muss man unterwegs einen „Pilgerpass“ stempeln lassen (2 mal pro Tag mindestens) und am Ende wird dann kritisch geprüft ob und wie viel man zurückgelegt hat.

 

Die offizielle Pilgerurkunde mit Distanz
Die offizielle Pilgerurkunde mit Distanz

 
Nach einem Ruhetag bin ich dann wieder gen Heimat geflogen. Mit vielen Eindrücken in der Tasche von denen sich wenige so richtig artikulieren lassen. Aufgebrochen bin ich weil ich wissen wollte, ob ich den Weg schaffe. Zurück bin ich gekommen mit der Frage ob wir als Menschheit die Herausforderungen der Zukunft schaffen.

Und ich habe lange gebraucht, diesen Beitrag zu schreiben. Weil ich nicht wusste, was ich schreiben soll. Wie ich es schreiben soll. Ich bin Millionen von Schritten gelaufen und habe viel über die Welt und mich gelernt. Und kann doch nur wenig davon so in Worte verpacken, dass eine Leserin oder ein Leser es verstehen oder gar nachvollziehen könnte.

Was mir aber auf jeden Fall in Erinnerung bleiben wird, ist vielleicht das hier:

Auf dem Jakobsweg hast Du kein Geschlecht, keine Hautfarbe, keine Religion und keine Herkunft. Du hast eine Geschichte und die Menschen auf dem Jakobsweg teilen von ihrer Geschichte genau so viel wie sie wollen mit Dir und nehmen, was Du ihnen von Deiner gibst.  Ohne dabei über andere zu urteilen oder beurteilt zu werden. Und wenn jemand am Boden sitzt, wenn einfach nichts mehr geht, kommt ein Mensch, dann ein Zweiter, dann ein Dritter und man geht den Rest der Etappe zusammen. Um am nächsten Tag wider getrennte Wege zu gehen. Jede und jeder so schnell oder weit, wie es eben passt. Und jede und jeder geht den Jakobsweg allein. Ohne jemals allein zu sein.

Und vielleicht ist das der wichtigste Punkt am Jakobsweg: Er reduziert alle, die ihn gehen auf ihre einzige Gemeinsamkeit:

Das Mensch sein.

Ein Gedanke zu „Einmal Spanien und zurück

  1. Ich habe Respekt vor jedem, der sich auf diesen Weg gemacht hat… Was auch immer er zu finden glaubt.

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