Flood the Zone with Shit: Syrien, Spahn und der Beißreflex
Syrien hat es geschafft, sich vom Diktator Assad zu befreien. Allerdings stellt sich die Frage, zu welchem Preis. Denn die „Rebellen“, die ihn stürzten, sind vor allem islamistischer Prägung. Und so muss man natürlich überlegen, ob sich ein zweites Afghanistan anbahnt.
In Deutschland leben aktuell knapp über 900.000 Menschen aus Syrien. Für diese Menschen sind die letzten Tage, und die nächsten, mit Sicherheit von einer emotionalen Bedeutung, die wir nicht nachempfinden können. Das gilt natürlich auch für die gut 175.000 Menschen syrischer Abstammung, die in NRW leben.
Das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) macht auch das einzig Richtige und stellt zunächst mal alle Asylverfahren von Menschen aus Syrien zurück. Niemand weiß, ob sich ein Staat nach dem Vorbild Afghanistans entwickelt, in dem Männer entrechtet und Frauen zusätzlich aus der Gesellschaft vollständig heraus gedrängt werden, in der Menschen der LGBTQ+-Community mit dem Tode zu rechnen haben. Oder ob sich eine Demokratie mit freien Wahlen entwickelt und ein säkularer Staat, in dem der Islam zwar eine wichtige Rolle als Religion spielen wird, aber eben nicht der Staat ist.
Insofern finde ich es persönlich verachtenswert, wenn ein Scharfmacher, wie der um seine politische Zukunft bangende/bemühte CDU-Politiker Jens Spahn, sich mal wieder als einer der Ersten äußert.
Seine Forderung: Man gebe Menschen aus Syrien 1.000€ und setze sie ins nächste Flugzeug.
Er muss m. M. n. wissen, was er da macht. Auch, dass er damit nicht nur den rechten Bodensatz innerhalb der Union adressiert. Sondern auch einen weiteren Mosaikstein in der Normalisierung des Fremdenhasses legt, den die AfD versucht zu normalisieren. Spahns Motivation ist klar: Er will sich bei Merz als der Wadenbeißer positionieren. Der, der sagt, was Merz aktuell selbst nicht sagen könnte. In der Hoffnung, doch noch in einer CDU-geführten Bundesregierung wieder Minister zu werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Spahn sich meldet, egal welches Thema.
Das Problem ist, dass er das gar nicht müsste. Wenn es nicht populistisch sinnvoll für ihn schiene. Denn selbstverständlich, und ich muss sagen leider, überlegen viele Menschen aus Syrien, ob und wann sie in ihre Heimat zurück kehren.
Leider, weil uns damit eine große Menge Menschen verloren geht, die wir dringend benötigen. Wir trauen uns nur nicht zu sagen, dass Deutschland sie braucht.
Denn diese Menschen liegen uns ja nicht, wie es rechte Kräfte gerne postulieren, auf der Tasche. Ganz im Gegenteil: Wir reden hier von Unternehmern, die Steuern zahlen und Arbeitsplätze schaffen. Wir reden von Mediziner*innen und medizinischem Personal, die unsere Kliniken am Laufen halten. Und wir reden auch von Menschen, die sich zu einem zentralen Teil unserer Demokratie gemacht haben. Zum Beispiel als Bürgermeister. Selbstverständlich reden wir auch von jedem Menschen der hier arbeitet, Steuern und Sozialabgaben auf Einkommen bezahlt oder hier lebt oder Menschen, die „nur“ durch Konsum zum Steueraufkommen und wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen beitragen.
Während also konservative Politiker im In- und Ausland gar nicht schnell genug abschieben können, und dafür auch schon mal den Gleichbehandlungsgrundsatz vergessen…
Karner erreicht ungeahnte Tiefen:was soll ein Rückführungs- und Abschiebeprogramm sein? Es gibt gesetzliche Voraussetzungen und die werden geprüft, alles wie bisher.Oder doch nicht? Für andere "gelten weiterhin die klaren Regeln des Asylgesetzes". Meint er, dass diese Regeln nicht für alle gelten?
— Wilfried Embacher (@embacher.bsky.social) 2024-12-10T08:12:52.856Z
… ist die Wahrheit doch, dass wir uns gar nicht leisten können, diese Menschen gehen zu lassen oder gar abzuschieben. Im Gegenteil: Statt Geld und Flugticket für eine Ausreise, sollten sie Geld, Anreize zum Bleiben und Vereinfachungen bei der Einbürgerung bekommen. Damit sie bleiben und Deutschland bei den bevorstehenden Herausforderungen unterstützen, zur Wohlfahrt beitragen und weil es auch überhaupt keinen Grund gibt zu sagen, wer hier leben will, soll es nicht dürfen.
Dieses vollkommen bescheuerte „Deutschland für Deutsche“ ist doch absolut absurd: Es gibt keine „echten Deutschen“ – die waren ein feuchter Traum in 1913, das sollten wir langsam begriffen haben:
Die Unterscheidung in „Wir“ und „Die“ hat in Deutschland eine sehr lange Geschichte. Das geht zurück bis zum Kaiserreich, zur Nationenbildung mit Begriffen wie „Volk“ und „Staat“. Das Staatsbürgerschaftsrecht von 1913 hat festgesetzt, dass nur „deutsch“ sein darf, wer „deutschen Blutes“ ist. Das galt fast hundert Jahre lang und sitzt sehr tief in dieser Gesellschaft.
Es gibt hier in unserem schönen Land Menschen mit den unterschiedlichsten Wurzeln, die auf einem gemeinsamen Staatsgebiet Deutschland leben und gemeinsam das Staatsvolk der „Deutschen“ bilden, wenn sie einen deutschen Pass haben. Darüber hinaus sind wir Europäer, das ist ohnehin etwas, dass sich langsam mal durchsetzen sollte. Denn ohne Europa, ist unser ach so geliebtes Deutschland ungefähr so gut aufgestellt, wie Groß-Britannien aktuell. Aber ich schweife ab.
Mir ist vollkommen klar, dass diese Menschen auch in Syrien händeringend gebraucht werden. Vor allem, wenn es darum geht, das Land wieder aufzubauen. Sowohl Wirtschaft, Infrastruktur als auch Politik.
Aber gerade konservative Politiker, die ja eine grundsätzlich „bewahrende“ Politik verfolgen sollten müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihre Forderungen volkswirtschaftliches Gift sind, wenn sie umgesetzt werden. Vor allem, wenn man das „Bewahren“ auf unseren Wohlstand bezieht,
Ich kann nicht sagen, ob Spahn und anderen Hardliner der Ab- und Ausweisung, besonders der CDU und AfD, das nicht wissen oder nicht wissen wollen. Wissen könnten sie es und ich denke, sie müssen es auch wissen.
Aber darum geht es nicht. Es geht ausschließlich darum, die Menschen weiter mit dem Narrativ zu bedienen, Deutschland würde unter einer Flüchtlingswelle praktisch zusammenbrechen. Während die Wahrheit eben ist, dass 2024 nicht mehr, sondern eher weniger Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Auch das hatte ich ja schon in meinem Blog ausführlich diskutiert.
Ich habe mal gelernt, dass man keine bösen Absichten unterstellen soll, wenn die Erklärung auch Unfähigkeit sein kann. Mir fällt aber zunehmend schwerer zu rechtfertigen, wie solche zielgerichteten Äußerungen von Spahn, mit Billigung durch schweigende Zustimmung des CDU-Kanzlerkandidaten Merz, nicht bösartig sein können.
Ich suche, auch wenn ich solche Texte wie diesen hier, schreibe, immer nach Hinweisen, dass Menschen wie Spahn solche Äußerungen tätigen, weil ihnen vielleicht die Realität nicht bekannt ist und das Politik sich manchmal in einer Blase bewegt, ist ja nicht neu. Es gelingt mir aber einfach nicht mehr, weil die hier genannten Fakten ja mit Links hinterlegt sind. Und die von mir hier angegebenen Quellen sind nur ein winziger Teil der verfügbaren Pressemitteilungen, Nachrichten, Statistiken etc., die immer wieder belegen, dass
- Wir nicht von Flüchtlingen überrannt werden,
- dass der Sozialstaat von Zuwanderung profitiert,
- der Wirtschaftsstandort von Zuwanderung ebenfalls profitiert,
- wir sogar händeringend auf Zuwanderung angewiesen sind.
Wissend, dass all das jede/r wissen kann, der oder die möchte, bleibt bei mir nur noch der Eindruck, dass hier bewusst weiter gefährlicher „Unsinn“ verbreitet wird. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Union (und die FDP, die AfD, die BSW) keine Lösungen zu irgendeinem der großen oder kleinen Probleme haben, die wir wirklich angehen müssten:
- Klimawandel
- Stärkung der Sozialsysteme
- Stärkung der Bildung
- Umbau des Rentensystems für die Zukunft
- Sicherung und Modernisierung von Krankenpflege, Altenpflege & medizinischer Versorgung
- Bekämpfung von Armut
- Umbau des Steuersystems, weg von einer Besteuerung des Inputs, also der Arbeitsleistung der Menschen, hin zur Besteuerung des Outputs und der Gewinne durch Automatisierung
Statt dessen wird einfach nur immer weiter mit Dreck geworfen, eben wie die Amerikaner sagen, „Flood the Zone with Shit“.
Und meine Prognose ist, dass je näher der Wahltermin im Februar kommt, desto dreister werden die Märchen, schauriger die Schreckgespenster und unglaubwürdiger werden konservative Politiker.
Das Problem ist nur: Dank Bild und Co glauben zu viele Menschen, dass so Äußerungen, wie die von Spahn richtig sind. Und nötig. Sie glauben das, weil rechte Narrative im Netz fast immer kostenlos zu finden sind, während ausgewogener Journalismus, oft hinter Bezahlschranken versteckt, gute Analysen schreibt und gute Artikel veröffentlicht, die leider oft genau die nicht erreichen, die es bräuchten.
Und gerade das macht Politiker wie Spahn so erfolgreich. Sie haben eine Zielgruppe, die sie erreichen, der sie aus der Seele sprechen und der sie einfache, aber falsche, Lösungen präsentieren. Und diese Zielgruppe will ihnen glauben.
Was Menschen wie Spahn so gefährlich macht.
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Das Bild im Header ist mit Adobe Express unter Verwendung der generativen KI Firefly erstellt.
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