Für ne Pizza nach Nizza – warum ich mir den Verkehr in Südfrankreich mal anschaute…
In 2019 habe ich viele Wochenenden damit verbracht, mir mal Mobilitätskonzepte in anderen Orten und Ländern anzusehen. Vor allem in den Niederlanden war ich öfter und habe bestaunt, wie viel sich die Lebensqualität verbessert, wenn man Autos aus den Innenstädten verbannt. Und auch in Brüssel habe ich die Transformation zu einer autofreien City bestaunt.
Jetzt ergab sich die Möglichkeit, mir mal Nizza anzusehen. Nizza verbindet man allerdings eher mit Cote d’Azur, Leben wie Gott in Frankreich und Sonne, Strand und Meer. „Blöderweise“ war mein Zeitfenster beschränkt auf den 25. bis 29. Dezember. Anders geht es leider beruflich nicht.
Erste Frage:
Wie kommt man eigentlich nach Nizza? Die einfachste Antwort ist: Mit dem Flieger. Tatsächlich kann man für relativ kleines Geld von Düsseldorf direkt nach Nizza. Aber: Fliegen ist für das Klima die schlechteste aller Alternativen.
Weniger CO2 produziert man mit dem Auto. Google behauptet das es 1200km sind. Das wären bei sehr sparsamer Fahrweise ca. eine Tankfüllung. Bei sparsamer Fahrweise (Tempomat zwischen 100 und 120) wäre es aber nicht in 12 Stunden zu schaffen und schon 12 Stunden zu fahren ist ein ziemlicher Akt.
Schneller fahren wäre dann mit ca 1,5 bis 2 Tankfüllungen „erkauft“ unter Ausstoß erheblich größerer Mengen CO2 (vom Rest sprechen wir gar nicht erst). Und die Kosten (inkl. Maut, Verschleiß und allem drum und dran) sind auch nicht zu verachten.
Also auch nicht optimal.
Eher ohne Erwartung habe ich dann mal nach einer Bahnverbindung gegoogelt und war überrascht:
Von Voerde aus würde ich nach Duisburg fahren.
Dort steige ich den Thalys, der mich bis Paris fährt. Dort steige ich in einen TGV um, der direkt in Nizza am Bahnhof halten würde. Reisezeit inklusive Mittagessen in Paris ca 12 Stunden. Das ist eine schöne Überraschnung.
Dazu kommt, dass man bei rechtzeitiger Buchung für den Thalys sehr wenig Geld bezahlt. In Frankreich ist das Buchen von Bahntickets dann super komfortabel mit der SNCF-App möglich. Die viel besser ist als die DB-App: Sie zeigt mir abhängig von der Auslastung die Preise an (wer Zeit hat, zahlt weniger) und selbst der gerade stattfindende Streik war in der App in der Form angezeigt, als das nicht fahrende Züge direkt ausgeblendet wurden.
Also habe ich beschlossen, mir mal anzusehen, wie ein Tourismus-Hotspot wie Nizza mit dem Verkehr Anno 2019 umgeht. Und so stand ich dann irgendwann am Bahnhof in Nizza 🙂
Da ich ja neben der Politik auch dem Cachen gerne mal fröhne, habe ich mich natürlich gefreut, dass es direkt am Bahnhof einen Cache gibt. Und der liegt, wie sollte es anders sein, an der Bahnhof-eignen Tiefgarage für Fahrräder:
Alter, in Voerde wäre ich schon froh, wenn wir Container für die Räder hätten. Aber gleich eine Tiefgarage??? Das ist fast wie in den Niederlande, die ja auch ganze Fahrradparkhäuser an den Bahnhöfen bauen.
Vor dem Bahnhof befand sich eine große Mietfahrrad-Station. Dabei ist mir folgendes aufgefallen:
- Es gibt zwei große Anbieter. Die Blauen, stark frequentierten und sehr preiswerten Leihräder und die Roten E-Bikes. Beide Anbieter machen das Ausleihen und Abgeben ähnlich einfach wie ich das von Metropolad-Ruhr kenne.
- Es gibt einige Leihmotorroller, aber keine Leih-E-Scooter
- Es gibt viele private E-Scooter, die die Leute dann wie selbstverständlich mit in den Bus / die Bahn nehmen, sie also für die Verbindungswege nutzen.
Bahn und Bus sind die nächste Überraschung: Nizza ist mit einem klugen Netz von Straßenbahnen und Bussen überplant. Eine Wochenkarte (7 Tage) für die gesamte Stadtregion (inkl. der angrenzenden Städte) kostet nur 15€. Seit Mitte des Jahres gibt es die zweite von 3 Straßenbahnlinien, die die Stadt durchkreuzen. Dabei handelt es sich um „Hybrid-Bahnen“: Da wo es möglich ist (Tunnel, einige Teile der Stadt) gibt es Stromleitungen, die die Bahn nutzt. An anderen Stellen (Innenstadt, im Hafen, etc) läuft sie dann im Batteriebetrieb. Das erspart es, die ganze Stadt mit Stomleitungen zu behängen und funktioniert einwandfrei.
Die (anonymen) Tickets werden dabei in der Art getrackt, dass jeder Einstieg bewertet wird. In meinem Gefühl werden die daraus gewonnenen Daten sehr gut genutzt um bedarfsgerecht Busse und Bahnen fahren zu lassen. Langes Warten gibt es nirgendwo.
Wenn man dann z. B. mit dem Bus von Nizza nach Monaco fahren möchte, ist das nicht im Preis inbegriffen. Zu meiner großen Überraschung kostet das Ticket nach Monaco allerdings sage und schreibe 1 Euro 50. Kein Scherz.
Mit dem Zug von Nizza nach Cannes? Je nach Tageszeit 7-10€ je Richtung mit dem Zug.
Und jeder, wirklich jeder nutzt den ÖPNV. Das dürfte vor allem an den Preisen liegen. Denn wenn ich z. B. mal die Möglichkeiten für Schüler vergleiche, denke ich direkt an den VRR, den VRS, Zusatztickets und 60€ und mehr (Young Ticket) pro Monat. Und die Franzosen?
Schülerkarte für die gesamte Region Süd kostet 110€. Im Jahr!
Wie geil ist das denn bitte?
Allerdings sind günstige Tickets, ein dichtes und modernes Netz nicht die einzigen Bausteine, die man in Nizza gewählt hat. Denn zusätzlich macht man (in Cannes übrigens auch) den Autofahrern klar, dass sie in der Stadt nix verloren haben. Und auch nicht am Hafen:
Die Hafenstraße wurde von 4 KFZ-Spuren auf 2 verkleinert. Eine der übrigen Spuren wurde für Räder umgebaut, die zweite Spur für Fußgänger. Gleiches Bild in der Innenstadt, wo ganz viele Straßen zu Einbahnstraßen wurden.
Mit baulich getrennten Rad und Fußwegen!
Parallel dazu hat man angefangen in den Straßen wo an beiden Rändern geparkt werden kann, nur eine Seite für Autos frei zu geben. Die andere Seite ist baulich geschützt nur noch für Fahrräder und Motorroller (von denen es sehr viele, oft schon elektrisch, in der Stadt gibt:
Das Ergebnis ist eine Stadt, in der Menschenmassen selbst außerhalb der Saison zum normalen Straßenbild gehören und Autos Seltenheitswert bekommen:
Und das ich mal in einer Stadt in Südfrankreich stehe und in der Abendsonne über schöne Radwege sinniere, hätte ich so vor ein paar Jahren nicht erwartet:
Aber seid mal ehrlich, das sieht doch einfach nur geil aus, oder? Platz für Fußgänger, Radfahrer und ja, auch die Autos und Busse kommen durch:
Hier sieht man jetzt von Links nach Rechts: Fußweg, Fahrradweg in zwei Richtungen, bauliche Trennung, KFZ-Spur, Fußweg und am Rande erkennt man noch die Fahrspur in die andere Richtung.
Hallo, warum können wir sowas hier nicht haben? Und zwar nicht als Ausnahme, sondern als Regel?
Ich will Euch nix vor machen, ich habe mich in den Verkehr in Nizza City verliebt. Das ist so gut geregelt, dass es nirgendwo ernstlich Stau gibt. Wer mit dem Auto fahren muss, der kann aber niemand will, weil es so viel einfacher, schneller und günstiger ist, den ÖPNV zu nutzen. Im Ergebnis riecht man keine Abgase und kann sich auch von Lärm ungestört praktisch überall hinsetzen. Absolut genial.
Nizza reiht sich damit für mich in die Liste der Städte ein, die zeigen was geht, wenn man den Mut hat Verkehr anders zu denken, als wie es tun: Dem KFZ nicht den Mittelpunkt und die höchste Priorität einzuräumen, sondern dem Menschen.
Dafür bekommt man dann sehr viel Lebensqualität in den Innenstädten, wenn sich Radfahrer, E-Scooter-Fahrer, Rollerfahrer und Fußgänger die Fläche gut teilen können, wenn man jederzeit mit dem Bus oder der Bahn von A nach B kommt und sich bei Lust und Laune auch einfach ins nächste Cafe setzen kann.
Ich bin beeindruckt. Oder um es in Landessprache zu sagen:
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Kommen wir zum Touri-Teil 🙂
Nizza ist wirklich schön und man kann stundenlang an der Hafen-Promenade spazieren, die Altstadt erkunden und auch Kultur gibt es im Überfluss. Ich empfehle auch und gerne das Chagall-Museum: Spannender Weise erfährt man hier, dass Marc Chagall gerne an die Orte gereist ist, über die er Auftragsarbeiten gefertigt hat. In einer Zeit, als es keine Billigflieger gab 😉
Besonders schön finde ich, dass es viel zu entdecken gibt – besonders irritierend finde ich das es relativ wenig Geocaches gibt.
Wer in Nizza ist kann, wie beschrieben, mit dem Bus einen Tag nach Monaco. Meiner Meinung nach eine sehr überbewertetet Stadt, die zwar sehr schöne Dinge wie das Ozeoanografische Museum oder den Außergewöhnlichen Garten hat, insgesamt aber Laut und und mit PKW überladen wirkt. Auch das Casino kann man sich natürlich mal ansehen 😉
Ebenso kann man mal einen Tag nach Cannes düsen und sich sich z. B. den Walk of Fame dort ansehen. Ein paar Geocaches gibt es auch.
Was sich ebenso lohnt: Einfach mal bei der Reise mit dem Bus oder der Bahn an einem der kleinen Orte aussteigen. Man findet viele richtig tolle Plätze mit schönen Stränden und guten Restaurants.
Überhaupt: Essen. Oh mein Gott, das Essen. 😀 Ich bin jeden Tag >15km gelaufen und habe kein Gramm abgenommen 😀
P.S: Das Nationalgericht von Nizza 😉 scheint übrigens tatsächlich Pizza zu sein. Neben sehr vielen sehr guten Restaurants für alles mögliche gab es auch sehr viele sehr gute Restaurants für Pizza 😀
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Ein Gedanke zu „Für ne Pizza nach Nizza – warum ich mir den Verkehr in Südfrankreich mal anschaute…“
Wau…toller Bericht und klasse Fotos. Das macht Appetit. Ich stelle mir Voerde mal mit wenigern Autos vor. Cool.
(Darf dann aber nicht darauf hinauslaufen das man sich mit Geld ne Fahrgenehmigung kaufen kann)
Womit ich Probleme hätte wäre der Einkauf. Wir vertrinken so ca. 4 Kästen/Woche.
Mein Sohn hat mit seinem Studiumbeitrag Öffentliche Verkehrsmittel (Bus und Bahn) in NRW frei.
Während seiner Schulzeit hatte er ein „Schokoticket“. (Galt aber nur für einen bestimmten Verbundraum. )
Für Familien ist das echt preiswert. Das zweite Kind zahlt dann nur noch die Hälfte 🙂
Wir müssen uns also diesbezüglich nicht vor den Franzosen verstecken.
Wenn mir die Wasserkästen/Großeinkäufe gebracht werden bin ich auf jeden Fall für eine „Auto-Beruhigte“ Voerder Stadt.
Ich warte auf Anträge 🙂
und wünsche dir und deiner Familie geniale 2020.
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