Syrien: Von einer Politik, die das Menschliche verloren hat.
2019 stand ich vor einem Kurs an der Hochschule der Polizei und öffentlichen Verwaltung in NRW und hielt mit Kolleginnen einen Vortrag. In dem Kurs „Interkulturelle Kompetenzen“ ging es um die Situation in Syrien – und wie auch heute war ein Großteil der Zuhörer*innen der Meinung, man könne von geflüchteten syrischen Menschen doch erwarten, wieder zurück zu kehren und ihr Land aufzubauen.
Für den Vortrag hatte mir der nicht ganz freiwillig Kriegsreporter gewordene Enno Lenze dankenswerter Weise eine Reihe von unbearbeiteten Fotos und Infos zur Verfügung gestellt. An die Reaktionen erinnere ich mich sehr gut. Vor allem daran, was die Bilder, ungeschönt und ungeschnitten, mit dem Publikum gemacht haben.
Daran wurde ich heute morgen erinnert, als ich im Radio hörte, dass Menschen sagen, dass Geflüchtete doch aus Ehre ihr Land wieder aufbauen sollen. Meine Vermutung ist, dass das Menschen sagen, die in Syrien keine 24h aushalten würden, bis sie zusammenbrechen. Und diese Art zu denken, die Menschen dürften vor Krieg zu uns flüchten, müssten dann aber ASAP zurück, macht mich echt wütend.
Wütend macht mich auch, wenn wir uns mal ansehen, woher die aktuelle Diskussion kommt. Der CDU-Außenminister, damit qua Partei nicht als Flüchtlingsfreund einzustufen, Wadephul, hat sich vor Ort ein Bild gemacht:
Doch der zeigte sich nach dem Besuch eines Vorortes der Hauptstadt Damaskus am Donnerstag vom Ausmaß der Zerstörung betroffen. Der Ort Harasta zählte vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 rund 30 000 Einwohner. Von 2012 an haben Bombardements den Ort nahezu ausgelöscht, die Menschen wurden vertrieben. Was Wadephul dort sieht, steht exemplarisch für ein Land, in dem ein über ein Jahrzehnt währender Krieg weite Teile von Infrastruktur und Wohnraum zerstört hat. Dem Außenminister fällt es deshalb schwer, sich vorzustellen, dass nach Europa geflohene Syrerinnen und Syrer bald dorthin heimkehren können. Eine Rückkehr sei „zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr eingeschränkt möglich“, sagte Wadephul.
Quelle: SZ
Und man möchte jubeln. Der Außenminister schaut sich vor Ort an, wie die Situation ist und erkennt: Das kann man keinem Menschen, keiner Familie zumuten. So muss Politik, so muss Steuern funktionieren. Auf Basis von Fakten und echten Erkenntnissen.
Aber hey, die CDU wäre nicht die CDU, täte sie nicht CDU-Dinge. Und dazu gehört, über unseren Außenminister herzufallen, als wäre er eine Frau von den Grünen. Und unser Innenminister (CSU) möchte die Abschiebungen sogar beschleunigen. Unterstützt wird er dabei von einem Kanzler (CDU), der in letzter Zeit keine Gelegenheit auslässt zu demonstrieren, dass ihm das C im Namen seiner Partei egal ist und dem Menschlichkeit und Empathie Fremdworte zu sein scheinen:
Jetzt hat der Kanzler die Sache also klargestellt. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland, und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen“, sagt Friedrich Merz. Das Ziel: die unionsinterne Debatte abzuräumen, die der Außenminister über Abschiebungen nach Syrien ausgelöst hat.
Quelle: TAZ
Der AFD gefällt das.
Ich frage mich, wie man so uneinsichtig, so herzenskalt sein kann. Ich frage mich aber auch, wie man ökonomisch so vor die Wand laufen kann:
Die meisten Menschen, die aus Syrien zu uns kamen, sind sehr gut integriert, viele von ihnen arbeiten – insbesondere im medizinischen und betreuenden Bereich. Sie dämpfen damit die Auswirkungen des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels. Deutschland braucht pro Jahr fast 500.000 Zuwanderer und wir haben nicht den besten Ruf. Statt also die Menschen, die vor Krieg und Zerstörung hierhin fliehen und sich einbringen, im christlichen Sinne willkommen zu heißen…. will die Cdu sie rauswerfen. Das ist ökonomischer Selbstmord mit Ansage.
Die Diskussion ist dabei wie gewohnt nicht sachlich. Statt dessen wird darüber diskutiert, ob der persönliche Eindruck von Wadephul jetzt richtig ist oder nicht.
Ich würde wirklich, wirklich wünschen, die Menschen die im Radio fordern, Syrer*innen sollten aus Ehre ihr Land wieder aufbauen, würden mal für 48h nach Syrien reisen um zu helfen. Meine Wette ist, dass die meisten nicht mal die Hälfte der Zeit aushalten. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir Menschen, die hier in Deutschland ein Zuhause gefunden haben, hier willkommen heißen. Denn das ist christlich.
Es ist zum Haare raufen, was für eine unmenschliche Politik die Union unter Merz fährt und wie sie damit der AfD nach dem Mund redet. Als wäre dort fast niemand mehr, der auch nur einen Funken Anstand behalten hat. Abgesehen von den wenigen, die für ihre Menschlichkeit den Wölfen zum Fraß vorgeworfen werden – wie Wadephul.
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Ein Gedanke zu „Syrien: Von einer Politik, die das Menschliche verloren hat.“
Dem Wunsch kann ich mir nur anschließen … Mittlerweile fehlen mir echt die Worte für das, was dort passiert. Immer, wenn ich denke „Unappetitlicher geht nun wirklich nicht mehr, oder?“ beweist mir die CDU das Gegenteil.
Hätte mir auch nicht träumen lassen, wirklich ernsthaft darüber nachzudenken, wohin ich auswandern würde, wenn die Christdemokraten die Demokratie vollends vor die Wand gefahren haben.