Von elektrischen Zügen und elektrischen Autos
Was geht, Deutschland?
Kaum gibt es ein billiges Ticket für die Züge, da kaufen sich Millionen Menschen(!) eines. Der sonst typische Pfingststau wird zu einem Bahnstau und alle gucken irritiert:
Sollte es tatsächlich so sein, dass wenn man den Menschen einen günstigen, einfach zu handhabenden Nahverkehr gibt, diese den auch nutzen? Das wäre ja Un-Fass-Bar!
Zeigt sich aber: Es ist wie mit guten Radwegen: Gib den Menschen Infrastruktur jenseits des Autos (plus hohe Spritpreise) und sie nutzen sie. Und das sollte uns allen zu denken geben. Was machen wir jetzt damit? Überlegen wir mal, was dafür spräche, weiter ein billiges 9€-Ticket oder wenigstens ein preiswertes 365€-Ticket anzubieten.
Kampf gegen den Klimawandel.
Auch wenn klar ist, dass wir den Klimawandel nicht allein durch unser individuelles Verhalten einbremsen werden, weil dafür Global viel mehr Anstrengung notwendig wäre, ist der Verkehr in Deutschland auf Platz 2 der Klimatreiber. Jeder KM der nicht mit dem Auto gefahren wird, hilft. So einfach ist die Rechnung. Natürlich braucht es dafür ein Bahnnetz, dass praktisch jedes Dorf anbindet. Das hatten wir aber schon mal und haben es aufgegeben, als wir beschlossen haben, dass die Bahn ein gewinnorientiertes Unternehmen sein muss. Drehen wir das doch wieder um und machen wir die Bahn wieder zu einem Verkehrsmittel, dass jedes Dorf mit den Städten verbindet und die Städte untereinander. Und dann bitte so wie früher, als man ohne Umsteigen praktisch zwischen allen europäischen Metropolen hin und her fahren konnte. Und stellt Euch mal vor, Ihr könnt wirklich überlegen, ob Ihr heute das Auto nehmen müsst oder es stehen lassen könnt. Und nach einer Weile (so wie ich gerade) ob Ihr überhaupt ein Auto braucht.
Soziale Gerechtigkeit.
Ein billiges Bahnticket gibt Menschen mit geringen Einkommen eine hohe Mobilität. Es darf nicht eine Frage des „kann ich es mir leisten“ sein, Freunde in der Nachbarstadt zu besuchen oder gar einen Job dort anzunehmen. Es würde zudem helfen, den Menschen zu erlauben über den Tellerrand zu blicken, wenn sie günstig kreuz und quer durch das Land reisen können und nicht nur auf ihre eigene Stadt beschränkt sind. Es hilft im Arbeitsleben genauso wie im Privatleben und schafft so etwas wie Gerechtigkeit. Natürlich wird es Menschen geben, die sich in die 1. Klasse zurückziehen können, auch im Zug. Aber grundsätzlich unterscheidet der Zug nicht ob Du Banker bist oder Schrauber. Hier sind alle mehr oder weniger gleich. Und überlegt mal welche Möglichkeiten des Urlaubs sich für Menschen ergeben, die sich keine lange Autoreise leisten können und in Zukunft auch keine Flüge (denn die werden auch teuer werden). Und stellt Euch die Familie vor, die über Nacht mit ihren Kindern von Deutschland nach Italien, Spanien, Dänemark reisen kann, ohne sich dafür finanziell übernehmen zu müssen.
Tourismus und Administration
Diese beiden Punkte gehören für mich zusammen. Zum einen rufen bereits jetzt die ersten Bürgermeister*innen danach, dass 9€-Ticket weiterlaufen zu lassen. Das machen sie nicht nur, weil es ihre eigenen Straßen entlastet, sondern auch weil sie wissen, dass sich das positiv auf die Stadtplanung (mehr Grün, weniger Parkplätze) auswirkt und vor allem mehr Touristen in ihre Stadt spülen kann. Dazu gehört auch, dass endlich der Schwachsinn mit den Verkehrsverbünden aufhört und ich z. B. nicht mehr überlegen muss, welche unterschiedlichen (!) Tickets ich kaufen muss, um von hier nach bspw. Köln oder Dresden zu fahren. Alleine dass NRW mehr als ein Ticketsystem hat, ist absurd, verursacht hohe administrative Kosten, verkompliziert das Reisen und macht keinen Spaß. Einfach muss es sein und bezahlbar.
Fernverkehr und Nachtzüge und das Auto
Schnelle Verbindungen wie ICE, Thalys und Co dürfen gerne weiter Geld kosten. Sie sollen eine zweckgebundene Alternative darstellen. Was ich mir aber wünsche ist, dass die europäischen Bahnen nach österreichischem Vorbild das Nachtzugnetz ausbauen. Und zwar massiv. Und das auch für Autos.
Das Aufkommen der E-Autos stellt eine Veränderung der Fahrgewohnheiten dar, wenn alle paar hundert KM nachgeladen muss. Züge wären da optimal: Stellt Euch vor, Ihr macht Urlaub in Österreich. Ihr ladet Abends Euer E-Auto auf den Zug, stöpselt es ein, geht in den Zug. Abendessen, schlafen, Frühstück und am nächsten Vormittag seid Ihr bspw. in Wien, Euer 100% aufgeladenes Auto wird abgeladen und ihr fahrt nur noch die Strecke zum finalen Ort. Schon aus der Logik heraus, denn was haben Züge mehr als genug, wenn nicht Strom, wäre so etwas doch hochgradig sinnvoll. Aber auch was die Entspannung angeht, weil am eben nicht auf der A3 im Stau steht.
Wir müssen weg davon, irre viel Geld für Straßen und Autokaufprämien auszugeben und hin dazu, einen Teil des Geldes in den Ausbau und die Modernisierung des Schienenetzes zu stecken. Und das wir das nicht für nichts machen, sondern das die Menschen bereit sind, das anzunehmen, ihre Reisegewohnheiten zu ändern, das sehen wir am 9€-Ticket. Und schon deswegen darf nicht nach 3 Monaten Schluss sein. Im Gegenteil: Das, was wir heute erleben muss ein politischer Weckruf sein. Die von allen immer geforderter Verkehrswende ist möglich und muss jetzt kommen!
Und hier ist noch ein spanneder Faden dazu, was eigentlich alles schief läuft und warum, was die Bahn angeht, früher wirklich mehr Lametta war:
Nachdem die Bahn dank des #9EuroTickets gerade Aufmerksamkeit erfährt, etwas Hintergrund.
Vor 100 Jahren konnte man von vielen europäischen Hauptstädten mit dem Zug in andere fahren, umstiegsfrei – und teils schneller als heute.
Beinahe jedes Dorf hatte zumindest ein Dorf (1)
— DeLacroix – @lakra.bsky.social (@_lakra_) June 6, 2022