Von Flucht und Flüchtenden
Es tut mir leid. Es tut mir sehr leid. Aber ich muss noch mal auf dieses Thema kommen. Ich will nicht, aber ich muss wohl.
Grund ist, wie massiv die Union und die FDP der #noafd nacheifern und sich in Forderungen überbieten, wie man doch bitte die Flüchtlingskrise eindämmen könne. Deutschland schaffe das alles nicht mehr. Es gehe um unsere Existenz.
Ach, ist das so?
Destatis zählte bis Ende September knapp 195.000 Asylanträge in Deutschland. Auf der Seite dazu liest man:
Im Jahr 2024 wurden in Deutschland bis Ende September rund 195.000 Asylanträge gestellt. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr (ohne Berücksichtigung saisonaler Unterschiede) wäre mit circa 260.000 Anträgen zu rechnen; damit würde ihre Zahl um etwa 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr sinken, aber immer noch auf einem recht hohen Niveau.
Ob das ein „hohes Niveau“ ist, kann man diskutieren. Für mich sieht das eher so aus, wenn man die drei Ausreißer 2015, 2016 und 2023 raus nimmt, als wenn das ein ungefähr gleich bleibender Korridor wäre.
Jetzt nehmen wir nur einmal an, dass aufgerundet 200.000 Menschen pro Jahr freiwillig(!) nach Deutschland kommen und hier bleiben dürften. Das wären dann bei 83,4 Millionen Einwohnerinnen ganze 0,24% der Menschen die hier leben.
Aber, höre ich den Kritiker sagen, hier mal 0,24%, da mal 0,24%, am Ende kommt da ganz schön was zusammen.
Und ja, das stimmt. Nur leider kommt da nicht annähernd genug bei zusammen. Denn wie wir alle wissen, sterben die Deutschen aus: Wir überaltern und haben viel zu wenig Nachwuchs. Und selbst die „Frauen zu Gebärmaschinen“-Strategie der #noafd würde erst in 20 Jahren ein Ergebnis zeigen. Wenn überhaupt.
Und wenn man sich das mal genauer anschaut hat sich in den letzten Jahren auch die Geburtenrate ganz leicht erhöht, was den demographischen Wandel aber derzeit wirklich abmildert ist das hier:
Andererseits hat sich die Bevölkerung im letzten Jahrzehnt durch mehr Zuwanderung und Geburten etwas „verjüngt“. So kamen seit 2010 stets mehr Menschen nach Deutschland als aus Deutschland wegzogen sind. Der Wanderungsüberschuss war besonders bei den Menschen im jüngeren und mittleren Alter deutlich.
Und schon 2010 hat der damalige Vorsitzende des Deutschen Wirtschaftsverbandes die Alarmglocken geläutet:
Deutschland braucht dringend mehr Migranten – mit dieser Forderung mischt sich DIW-Chef Klaus Zimmermann in die Integrationsdebatte ein. Um den Wohlstand zu sichern, müsse man pro Jahr mindestens eine halbe Million Menschen ins Land holen, sagt der Ökonom.
Nehmen wir jetzt an, dass dieser Wert gleich geblieben ist, bedeutet das, dass immer noch 300.000 Menschen pro Jahr zu wenig nach Deutschland kommen. Was wiederum absurde Blüten treibt:
Bisher haben wir zum Beispiel versucht, Lücken in der Pflege und Landwirtschaft mit Menschen aus Osteuropa zu stopfen. Dumm nur:
Bisher erhielt Deutschlands Arbeitsmarkt durchaus Zuwanderung von Fachkräften aus Europa, vor allem aus Osteuropa. Doch die Quelle versiege, denn die europäischen Länder alterten mit, so IAB-Experte Weber – man müsse nun mehr im weiteren Ausland suchen, in Ländern mit jüngeren Gesellschaften.
Und jetzt passiert etwas, das schon fast schizophren ist:
Wir wissen, dass Deutschland für Einwanderer oft unattraktiv ist. Vor allem wegen seines politischen Rechtsrucks, insbesondere auch in Teilen von CDU, CSU und FDP. Trotzdem wird mit viel Geld und mäßigem Erfolg von Brasilien bis Indien um Zuwanderung geworben. Und ja, Indien. Denn einigen von Euch werden sich noch erinnern, wie ausgerechnet Jürgen Rüttgers von der CDU einst formulierte: „Kinder statt Inder!“
Wir fassen also zusammen:
- Wir brauchen 500.000 Menschen pro Jahr.
- Die 200.000 Menschen die kommen, wollen wir nicht.
- Die, die wir wollen, wollen aber nicht.
Wir haben somit keine Flüchtlingskrise, sondern eine Demographie-Krise, die sich in den nächsten Jahren massiv verschlimmern wird. Heute nennen wir es „Fachkräftemangel“, aber wir werden morgen merken, dass an allen Ecken und Kanten Menschen in Deutschland fehlen.
Gleichzeitig aber geht die Politik auf einen Amok-Kurs: in dem zunehmend verzweifelten Versuch, der #noafd etwas entgegen zu setzen, setzt man nicht, wie man müsste auf Bildung und Sozialstaat. Sondern macht es den Rechten nach und faselt ununterbrochen von einer „Migrationskrise“.
Das geht vom Chef der CDU, Merz, bis hinunter in die kleinen Orte wie mein Voerde. Man will ja den nächsten Kanzler stellen und Probleme lösen kostet Energie, also lieber auf Populismus setzen. So scheint zumindest im Moment das Motto der Union zu sein. Ein guter Grund für die FDP mithalten zu wollen, Und deren Chef, Christian Lindner, geht aus Angst vor der Bedeutungslosigkeit seiner Person und der FDP noch weiter und will Leistungen kürzen. Für Menschen die zu uns kommen. Und die Menschen die schon da sind. Selbstverständlich will da auch die Splitterpartei CSU mitmischen und fordert ebenfalls harte Schranken.
Das ist alles so ein Wahnsinn.
Denn hier wird nur die schwachsinnige Politik der #noafd hofiert und salonfähig gemacht. Die den Menschen schadet, der Wirtschaft und am Ende ganz Deutschland.
Und es ist so unnötig. Denn wie oben gezeigt, gibt es kein Überrennen unseres Landes durch Flüchtlinge. Es kommen sogar zu wenige Menschen nach Deutschland. Die dann aber von uns Steine in den Weg gelegt bekommen, wo es nur geht.
Dazu das ewige Credo, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Tut es nicht. Hat es nie getan. Wird es nie tun. Damit lenken CDU, CSU, FDP und die #noafd aber auch wirksam davon ab, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen:
Denn neben der Demographie haben wir auf der Welt und in Europa noch die, diesmal echte, Klimakrise. Diese Klimakrise wird in naher Zukunft riesige innereuropäische Migrationsbewegungen auslösen. Denen wir nicht mit hohen Zäunen an der EU-Grenze oder mit dem Ersaufen lassen von Bootsflüchtlingen begegnen können. Gut, aus Sicht der #noafd ist das kein Problem, die will ja ein Deutschland ohne Europa und baut dann vermutlich einfach die Trumpsche Wall rund um das Land. Vielleicht auch eine reizvolle Idee für den einen oder die andere in der Union.
Aber wir müssen uns auf diese Themen vorbereiten. Und wir könnten das, weil wir schon heute Menschen aus Regionen, die unter dem Klimawandel leiden, einladen könnten. Weil wir schon heute den Menschen die her kommen, Integrations- und Bleibeperspektiven bieten könnten und müssten.
Die Lösung der sozialen Probleme und gegen die Gewinne der Rechten habe ich schon skizziert: Geld für Bildung und Soziales.
Denn wir wissen, dass das ein Zaubermittel gegen das Erstarken von Rechts ist. Rechte Parteien bedienen sich der Angst und hoffen auf Wähler, die sie aus dieser Angst heraus wählen. CDU, CSU und FDP fördern diese Angst und treiben die Menschen damit in die Fänge der Rechten.
Statt dessen muss es heißen: Jeder Mensch der nach Deutschland kommen will, ist erst einmal willkommen. Denn wir brauchen sie. Sie überrennen nicht, sie zerstören nicht unsere Kultur oder sonst einen Schwachsinn. Und wir müssen dann mit Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal reden und gemeinsam planen, was so die nächsten 50 bis 100 Jahre notwendig sein wird, um die Folgen des Klimawandels ertragen zu können.
Aber genau hier liegt das Problem: Keine der genannten Figuren und keine der genannten Parteien ist willens oder in der Lage, Politik für einen langen Zeitraum zu machen. Alles was zählt ist, mit lauten Tönen Stimmen für die nächste Wahl zu erheischen. Das man sich dabei verrennt, nimmt man offensichtlich aktuell einfach in Kauf.
Und das macht mich einfach nur noch wütend.
Das kann doch nicht unser Ernst sein und nicht unser Anspruch an unsere eigene, auch die europäische Zukunft. Ist es aber halt auch nicht. Denn wenn wir ehrlich sind und mal genau hinschauen, dann sehen wir an den Hebeln der Macht derzeit nur alte weiße Männer, die sich um genau zwei Dinge kümmern: ihren Wohlstand und ihre Macht.
Und wenn mich jemand mal fragt, warum eigentlich so viele Menschen Politikverdrossen sind, weise ich einfach nur auf diesen Blogbeitrag hin. Wir wissen, was wir zu tun haben und tun es nicht. Wir wissen, dass wir kein Problem haben, schreien aber lauthals als Stünde das Ende kurz bevor. Und damit helfen wir niemandem. Außer Merz, der unbedingt Kanzler werden will, Lindner, der nicht bedeutungslos werden will und der bayrischen CSU die sonst nichts hat.
Ist das nicht traurig?
2 Gedanken zu „Von Flucht und Flüchtenden“
Dann nehme diese ganzen neuen Spezialisten, Herzchirugen und Atomphysiker doch bei Dir zu Hause auf, Stefan.
(Gekürzt vom Blog-Owner)
Es ist amüsant zu sehen, wie solche Beiträge die immer Gleichen aus ihren Löchern locken, die den immer gleichen Stuss von sich geben.
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