Warum die Diskussion um VW viel zu kurz greift
Die aktuell durch das Dorf getriebene Sau ist ja die Ankündigung von VW, durch Werksschließungen, Gehaltskürzungen und Kündigungen im kommenden Jahr 4 Mrd. € und im Folgenden sogar 10 Mrd € einsparen zu wollen. Das sorgt Land auf wie Land ab für großen Diskussionsbedarf, einer der Schuldigen ist schnell ausgemacht: Der Aktionär!
Denn schließlich hat VW für 2023 4 Mrd. Euro Dividenden gezahlt. In der „ich habe einfache Erklärungen für einfache Leser“-Presse heißt es sogar:
Das ist natürlich hanebüchener Unsinn. Genauso wie es Unsinn wäre zu sagen, dass Schuld an der Misere die hohen Bonuszahlungen sind. Und damit meine ich nicht die für das Management. Sondern die für die Mitarbeiter:
Die Tarifbeschäftigten von Volkswagen bekommen für das vergangene Jahr eine höhere Bonuszahlung. In der Summe betrage die Prämie 4735 Euro, hieß es am Mittwoch in einer Sonderausgabe der Betriebsratszeitung „Mitbestimmen“, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
(Quelle: Handelsblatt)
Und eigentlich ist es gar nicht so kompliziert. Wenn wir uns mal trauen würden, die richtigen Fragen zu stellen. Aber kommen wir erst zu den Prämien und den Dividenden, denn beides kann man eigentlich nicht wirklich „sonderbar“ finden:
Die Prämien sind eine Beteiligung der Mitarbeitenden am Erfolg des Unternehmens. Dem Erfolg, den sie mit ihrer Arbeit erst möglich machen. Und 2023 war nun mal rein fiskalisch ein sehr gutes Jahr für VW. Und das müssen auch die Aktionäre merken. Denn was viele Vergessen in ihrem Neid:
Aktionäre erwerben mit Aktien Anteile am Unternehmen. Das bedeutet, dass sie dem Unternehmen ohne Zinsen und zeitlich unbefristet Geld zur Verfügung stellen. Sie gehen dabei das Risiko ein, dass das Unternehmen Schiffbruch erleidet und ihre Aktien wertlos werden. Und zwar bis hin zum Totalverlust. Eine „Versicherung“ im klassischen Fall gibt es nicht dagegen: ein Aktionär ist Miteigentümer und haftet mit dem von ihm eingebrachten Eigenkapital. Dieses Risiko geht kein Mensch der Geld anlegen will, wirklich freiwillig ein. Wenn auf der Gegenseite nicht die Möglichkeit besteht, am Unternehmenserfolg teilzuhaben. Und das sind eben: Dividenden.
Je nach Unternehmen kann keine Dividende zu zahlen dramatische Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzen haben, in einem Umfang der viel höher ist, als die gezahlte Dividende. Da spielen natürlich auch Erwartungen der Aktionäre eine Rolle. Aber man muss es einmal so sagen: Ist ein Unternehmen erst mal „Public“, also an der Börse gehandelt, gibt es selten ein zurück. Hat halt Vor- und Nachteile aus Sicht des Unternehmens.
Bleiben als Schuldige also noch die Manager. Deren Aufgabe ist ja nicht primär das operative Geschäft im laufenden Jahr, sondern vor allem die strategische Ausrichtung, Mittel- und Langfristig. Sie haben den Kurs des Unternehmens so festzulegen, dass es wächst und der Gewinn steigt. Sie haben aber eben auch die Rote Laterne an zu machen, wenn Sie Gefahren für das Unternehmen sehen. Einbrechende Absätze, gesetzliche Änderungen, Epidemien, Auslöser kann es viele geben.
Das Management hat dann vorsichtig abzuwägen: Was passiert, wenn ich die Prämie für die Mitarbeitenden streiche und andere Unternehmen mehr zahlen? Wenn ich die Dividenden streiche und andere Unternehmen für das gleiche Risiko der Anleger eine höhere Vergütung anbieten? Kann ich vielleicht den Staat zu Hilfe rufen?
Und so absurd das ist: Letztere ist oftmals eine Möglichkeit, wenn man in bestimmten Positionen ist. Wenn man zum Beispiel behaupten kann, man sei „Too Big To Fail“, ein Untergang von VW würde also die gesamte Wirtschaft von Deutschland gefährden. Wenn man damit droht ins Ausland zu gehen, wenn man mit Massenentlassungen droht. Das alles führt viel zu oft dazu, dass der Staat einspringt: Billige Kredite, Ausfallbürgschaften, Nachlässe bei den Energiepreisen, „Sonderfonds“.
In sofern würde ich persönlich die aktuelle Diskussion eher so sehen, dass VW sich der Probleme bewusst ist, bevor aber jemand fragt ob das Management Fehler gemacht hat, man sich den Wut der Aktionäre oder Mitarbeiter zuzieht, man erst mal auslotet wie viel der Staat zu geben bereit ist, wenn man nur laut genug jammert. Das ist alles schon hundert mal dagewesen und bekannt unter dem Motto „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“. Das ist ein Fehler in unserem politischen System, der aber so tief verankert ist, dass jeder Politiker der offen darauf hinweist, seine eigene Karriere gefährdet.
Ok. Soweit ist alles wie immer.
Und trotzdem: Sehen wir nicht, was tatsächlich das Problem ist?
Ich glaube nein, auf dem Auge sind wir blind.
Denn wir müssten eine ganz andere Frage diskutieren. Über die ich inzwischen seit mehr als 2 Jahrzehnten immer wieder vor Menschen aus der Gesellschaft und Politik geredet habe. Die aber niemand so wirklich ernst nimmt, aus ganz unterschiedlichen Gründen:
Wie sieht unsere Gesellschaft aus, wenn wir akzeptieren, dass es nie wieder Vollbeschäftigung geben wird?
Aktuell leben wir immer noch in der irrigen Vorstellung, dass eine Teilnahme an der Gesellschaft eine Teilnahme am Berufsleben voraussetzt. Gehst Du nicht arbeiten und hast Du keinen guten Grund wie Krankheit oder Behinderung, bist Du ein Schmarotzer. Der Mensch soll möglichst früh dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und das möglichst lange. Unser gesamtes Steuersystem ist dabei darauf ausgelegt, die menschliche Arbeitskraft als Wertschöpfend zu betrachten und zu versteuern.
Nur… das ist sie schon lange nicht mehr so wie früher. Und sie wird es immer weniger. Der Grund dafür ist die zunehmende Automation.
Eigentlich müssten wir schon längst angefangen haben, individuelle Arbeitsleistung (Einkommens- und Lohnsteuer) viel weniger zu besteuern und dafür Unternehmensgewinne viel stärker. Sowie die Einkünfte aus Kapital. Denn um Euch das mal zu verdeutlichen:
Arbeite ich und verdiene 100€, zahle ich mehr als 40€ Steuern.
Lege ich Geld an und beziehe Einkommen daraus, zahle ich 25€ Steuern bei 100€.
Und genau das ist das Problem: Wir besteuern die Menschen und das zunehmend mehr, statt den Output der Wirtschaft zu besteuern. Jede/r von Euch kennt die Diskussionen darüber, wie wenige große Unternehmen weltweit an Steuern zahlen und welche Möglichkeiten sie haben, ihre Gewinne klein zu rechnen. Das Zauberwort ist „Bilanzkosmetik“ und die gehört in jedes gute BWL-Studium.
Statt das VW in der Lage ist zu sagen: „Lieber Staat, wenn Du nicht zahlst, entlassen wir viele Arbeitnehmer*innen, die zahlen dann keine Steuern mehr und belasten das Sozialsystem“ müsste der Staat in der Lage sein, an den steigenden Gewinne zu partizipieren. Und das nicht nur wie Schleswig Holstein über Dividenden aus Aktien die man am Konzern hält und deren Höhe wieder dem Vorstand obliegt.
Wir müssen endlich davon weg, Unternehmen als Selbstzweck zu begreifen und die Arbeitskraft des Menschen als das Maß der Dinge. Soll VW doch dank Automatisierung 10 oder 20.o00 Menschen weniger beschäftigen. Dann muss das Unternehmen aber in dem Umfang mehr Steuern zahlen, wie es durch die Automation mehr Überschuss erzielt. Es wird nie wieder Vollbeschäftigung nach heutigem Muster geben. Also braucht es andere Modelle, wie zum Beispiel ein Bedingungsloses Grundeinkommen, dass Einkommensausfälle kompensiert.
Und Geld dafür ist genug da. Wir trauen uns nur nicht, es zu holen.
Was der eigentliche Skandal ist. Was das ist, worüber wir reden müssten.
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Disclaimer: VW ist nur das aktuelle Beispiel. Es trifft aber die gesamte Wirtschaft. Und es trifft auch alle Parteien: Keine der in Regierungsverantwortung stehenden Fraktionen hat in den letzten 20 Jahren auch nur gewagt mal anzusprechen, dass wir weg von einer Lohnsteuer und hin zu einer Output-Steuer müssen.