Wenn wieder alles normal ist…
Im Moment höre ich öfter „Wenn wieder alles normal ist…“ oder „Wenn es wieder so ist wie vor Corona…“ und manchmal denke ich dann: Wird es das wieder geben? Kann es das wieder geben? Wollen wir das wieder?
Kaum ein Ereignis dürfte die jüngere Geschichte geprägt haben und auch weiter prägen, wie COVID-19. Und das in vielerlei Hinsicht, einige Themen und sicher nicht alle möchte ich hier mal exemplarisch anreißen. Einfach weil ich glaube, dass es ein „wie früher“ (prä Covid, ‚pC‘) nicht mehr geben kann – das aber nicht unbedingt schlecht sein muss.
Der vermutlich wichtigste Punkt ist die „plötzliche Erkenntnis“, dass Homeoffice in großem Maßstab funktioniert und die Leute gut zu Hause arbeiten können, wenn die Technik stimmt. Viele der gängigen Vorurteile von Personalverantwortlichen sind nunmehr nicht mehr haltbar. Parallel dazu haben wir aber festgestellt, dass Homeshooling uns offensichtlich als Gesellschaft überfordert. Das muss aber ja nicht so bleiben. Meine Prognose ist, dass bei den Arbeitnehmern es schwer sein dürfte, das Homeoffice auf das pC-Niveau zurück zu fahren. Die Menschen wissen zu schätzen, morgens nicht im Stau zu stehen. An den Lösungen für Schülerinnen und Schüler sollten wir aber dringend arbeiten – nicht nur im Vorgriff auf die nächste Pandemie, sondern auch, um einfach andere Möglichkeiten des dezentralen Lernens zu etablieren.
Mit der explosionsartigen Verbreitung von Homeoffice haben wir auch gemerkt, was wirklich gegen Stau hilft: Nicht mehr Autobahnen und Straßen, sondern weniger MIV („Motorisierter Individual-Verkehr). Erinnert Ihr Euch, wie auf einmal die Verkehrsnachrichten waren? Es gab plötzlich keine Staus mehr. Das stützt meine These, dass für all die, die nicht zu Hause arbeiten können, das Pendlerleben sehr viel angenehmer wird, wenn alle zu Hause arbeiten, die es können. Und damit im Stau nicht mehr beisammen stehen.
Gleiches gilt verschärft fürs Fliegen. Wir haben nicht nur endlich mal wieder gemerkt, dass es ein Leben ohne „Malle und zurück für 29 Euro“ gibt. Sondern wir haben auch gemerkt, dass eine Vielzahl von Business-Flügen offensichtlich sehr gut mit Videokonferenzen substituiert werden können. Fliegen ist eine der umweltschädlichsten Forstbewegungsmethoden, sondern wird unverständlicherweise auch massiv steuerlich bevorzugt. Wir könnten und müssten jetzt überlegen, ob wir das noch wollen (ich sage nein) und ob es nicht klüger wäre, mehr Geld in Züge zu stecken und Kurzstreckenflüge abzuschaffen und Langstreckenflüge angemessen zu bepreisen. Und es gab keine Kreuzfahrten. Wenn es eine Urlaubsreisemethode gibt, die noch schlechter für die Umwelt ist, dann Kreuzfahrten. Brauchen wir hunderte Kreuzfahrtschiffe, die die Meere und die Luft belasten? Eher nein.
Insgesamt sind die dramatischen Auswirkungen von Covid-19 auf die Umwelt bemerkenswert. Es zeigt sich eindeutig, dass wir für die Natur viel ändern können. Wir müssen nur wollen, alternativ gezwungen werden.
Gezwungen wurden wir auch, unsere Wertvorstellungen zu überarbeiten. Plötzlich standen Kassierer*innen, Lehrer*innen, Erzieher*innen und medizinische Personal im Fokus. Und das völlig zu Recht. Was es jetzt braucht ist eine ernsthafte Diskussion, was uns deren Arbeit wert ist. Polemisch ausgedrückt: Warum verdient jemand, der sich in einer Bank um Geld kümmert so viel mehr als Menschen, die sich um andere Menschen kümmern? Hier ist dringend eine politische Diskussion notwendig.
Politik muss ohnehin neu gedacht werden. Wir haben erlebt, dass der Föderalismus an seine Grenzen kam, wir wissen aber auch nur zu gut, was ein zentralistischer Staat anrichten vermag. Diesen Konflikt müssen wir für Situationen wie Pandemien auflösen. Und wir müssen Politik wieder mehr auf die Füße der Wissenschaft stellen, denn wir alle wissen oder ahnen, dass die Corona-Wellen deutlich flacher ausgefallen wären, wenn man früher und mehr auf die Wissenschaft gehört hätte. Und wir müssen dringend an der Bildungspolitik arbeiten, weil es in einem Hochbildungsland nicht passieren darf, dass Menschen Impfungen mit Verschwörungstheorien und Fakten mit Skepsis begegnen. Die Anzahl von Menschen, die glaubt es gäbe keine Viren, sollte jedem Politiker Angst machen.
Aus diesen und vielen weiter Gründen glaube ich, dass Post Corona völlig anders sein wird als pC. Das es ein „wie früher“ nicht mehr geben kann. Und auch nicht mehr gegeben darf, denn wir müssen auch ehrlich eingestehen, dass viele Tote vermeidbar gewesen wären, wenn wir besser vorbereitet gewesen wären, zielstrebiger gehandelt hätten und vorher überlegt hätten – statt nachher die Scherben aufzukehren.
Covid-19 hat uns eine Menge Aufgaben ins Hausaufgabenheft geschrieben. Und spätestens nach der Bundestagswahl müssen alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – dringend anfangen, diese Hausaufgaben abzuarbeiten. Denn machen wir uns nichts vor: Nach der Katastrophe ist immer auch vor der Katastrophe. Und die Klimakatastrophe wartete schon hinter der nächsten Ecke.
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